Visualisierung schafft Durchblick bei der Entwicklung von Produkten
Die Produktentwicklung wird immer anspruchsvoller. Die Qualitätsanforderungen steigen, zusätzlich müssen Entwickler auch Kriterien wie Nachhaltigkeit und Energieeffizienz berücksichtigen. Das komplexe Zusammenspiel aller Parameter und Merkmale des geplanten Produkts macht jetzt eine Visualisierungs-Software sichtbar. Fraunhofer-Forschende haben damit ein interaktives Tool geschaffen, das eine verlässliche Entscheidungsgrundlage über Designvarianten eines Produkts bietet.
Die Visualisierung von Daten ist zum Megatrend geworden. Dabei geht es um mehr als nur um Grafiken zur Veranschaulichung von Zahlen. Die Visualisierung schafft Übersicht, zeigt Strukturen und legt Zusammenhänge offen. Angesichts der exponentiell wachsenden Datenmengen in allen Sektoren, egal, ob Wirtschaft, Industrie, Handel oder Verkehr, lässt sich die Datenflut ohne Visualisierung nicht mehr beherrschen.
Eine besonders vielversprechende Anwendung für die Visualisierung hat das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD in Darmstadt entwickelt. Dabei geht es um Produktdesign, also die Entwicklung von Produkten, bei der alle variablen Eigenschaften oder Leistungsparameter durchkalkuliert und aufeinander abgestimmt sind. Gemeinsam mit dem Linz Center of Mechatronics (LCM) in Österreich haben die Fraunhofer-Forschenden dieses Projekt konkret auf die Entwicklung eines Elektromotors angewandt. Der Forschungspartner aus Linz hat die technischen Daten und die darauf basierende mathematische Simulation aller Produktparameter erstellt.
Alle Produktparameter in einer interaktiven Visualisierung
In die grafische Darstellung der Fraunhofer-Software fließen alle relevanten Kriterien für die Entwicklung des Motors ein: Größe, Gewicht, Leistung, Drehmoment, Stromaufnahme, Kosten, Effizienz oder Temperaturentwicklung. Typischerweise werden bis zu zehn Kriterien betrachtet. Die Visualisierung zeigt nun in Form exakter Kurvengrafiken, wie die einzelnen Parameter zusammenwirken und was passiert, wenn man einen Wert verändert. Oft kann es dabei zu Interessenskonflikten kommen. Erhöht man etwa die gewünschte Motorleistung, steigen damit auch die Kosten, um nur ein Beispiel zu nennen.
Die Visualisierung ist dabei keineswegs statisch. Der Entwickler oder die Entwicklerin kann bei jedem Parameter den Wert stufenlos durch Verschieben eines Reglers ändern und so unerwünschte Werte, etwa zu hohe Kosten, ausschließen. Die Software zeigt in Echtzeit an, welchen Einfluss dies auf die jeweils anderen Kriterien hat. Auf diese Weise werden für die Designvarianten verschiedene Was-wäre-wenn-Szenarien durchgespielt.
So einfach dies auf den ersten Blick erscheinen mag, so komplex ist das Zusammenspiel der Parameter. »Wenn Sie neun oder zehn Parameter einfließen lassen, entstehen ganz schnell mehrere Hundert Designvarianten«, erklärt Lena Cibulski vom Fraunhofer IGD. Sie arbeitet in der Abteilung »Informationsvisualisierung und Visual Analytics« des Instituts und leitet das Projekt.
Die Visualisierung hilft dabei nicht nur den Entwicklern und Ingenieurinnen bei der Arbeit; sie unterstützt auch bei der Präsentation beim Kunden oder beim Management des Unternehmens. Sie sehen auf einen Blick, welche Optionen es bei der Entwicklung gibt, und können alle möglichen Designvarianten durchspielen. »Die eine, beste Lösung gibt es dabei nicht«, sagt Cibulski. Es gibt nur eine Reihe von Designvarianten mit jeweils anderen Eigenschaften und Leistungsmerkmalen, über die die Verantwortlichen entscheiden müssen. So entsteht ein Produkt, bei dem alle Eigenschaften und Leistungsdaten aufeinander abgestimmt sind und den bestmöglichen Kompromiss bilden.
Zwei weitere Features bei der Bedienung der Software verbessern die Übersichtlichkeit. Designvarianten, die in die engere Wahl kommen, lassen sich als Favoriten definieren und mit einer Farbe markieren. Sie bleiben in der Darstellung dann immer sichtbar. Daneben können die Entwicklerinnen und Entwickler Grenzwerte bei den Eigenschaften setzen. Damit ist gewährleistet, dass die geforderten Spezifikationen des Produkts etwa hinsichtlich der Stromaufnahme oder der Leistung eingehalten werden.
Visualisierung macht versteckte Zusammenhänge sichtbar
Das Tool ersetzt aber keineswegs das Know-how eines Ingenieurs oder einer Ingenieurin mit entsprechender Erfahrung; vielmehr unterstützt es diese dabei, ihre Expertise und Erfahrungen möglichst effizient einzusetzen. Sie könnten damit auch unkonventionelle Ideen direkt am Bildschirm ausprobieren. »Hier kommt es oft auf Nuancen an. Eine kleine Änderung an einem bestimmten Wert, und sei es nur die Wandstärke des Materials an einer bestimmten Stelle, kann nicht vorhersagbare Auswirkungen auf andere Parameter haben«, erläutert Cibulski. Das Visualisierungs-Tool macht also auch versteckte Zusammenhänge sichtbar. Daneben hilft die Simulation am Bildschirm dabei, Konstruktionsfehler auszuschließen und Risiken zu minimieren.
Die Software ist webbasiert. Der Kunde oder die Geschäftspartnerin muss zum Starten der Software lediglich einen Link aufrufen und kann dann selbst alle Varianten vergleichen und bewerten. So ist es möglich, kurze Abstimmungswege einzuhalten. Bei Bedarf lässt sich die Software aber auch lokal auf einem Rechner installieren.
Die von Cibulski und ihrem Team am Fraunhofer IGD entwickelte Software ist technisch unabhängig vom Simulationsmodell, das vom Linz Center of Mechatronics entwickelt wurde. Für die Visualisierung kann im Prinzip jedes beliebige Simulationsmodell verwendet werden. Dieses legt die zu vergleichenden Optionen fest und berechnet deren Werte für die gewünschten Produktparameter. Die so entstandenen Lösungskandidaten können dann in das Fraunhofer-Tool importiert und dort gegeneinander abgewogen werden.
Anwendung für alle Branchen
Damit können die Fraunhofer-Forschenden ihre Visualisierungssoftware für nahezu jede Branche und jede Anwendung anbieten. Bei den Motoren ist die Software sowohl für die Neuentwicklung als auch für die Weiterentwicklung und Optimierung bestehender Produkte denkbar. »Sinnvoll ist der Einsatz überall da, wo sehr viele Designvarianten und teilweise unvereinbare Qualitätskriterien im Spiel sind, die einen Kompromiss erfordern«, erklärt Cibulski. Beispielsweise ließen sich auch Entscheidungen bei der Planung von Energieversorgungskonzepten für ein Gebäude oder bei der Entwicklung komplexer Produktionsanlagen in einer Fabrik unterstützen.
Die Produktentwicklung ist in den letzten Jahren deutlich komplexer geworden. So sind etwa im Zuge der Klimadiskussion Aspekte wie Nachhaltigkeit und Energieeffizienz als zusätzliche Zielgrößen eingeflossen. Umso wichtiger wird die Visualisierung. Sie schafft eine transparente und verlässliche Grundlage für alle Entscheidungen. Die Visualisierung ist damit ein wichtiger Teil im Workflow und hilft dabei, den gesamten Prozess der Produktentwicklung zu beschleunigen.
Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft